Der große Estrich-Kompass
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I. Planung, Normative Grundlagen & Schnittstellenkoordination
Der große Estrich-Kompass
I. Planung, Normative Grundlagen & Schnittstellenkoordination
Dieser fundamentale Abschnitt definiert die planerischen und normativen Rahmenbedingungen, die für die Erstellung eines mangelfreien und dauerhaften Estrichbauteils unabdingbar sind. Die sorgfältige Analyse und Vorbereitung der Schnittstellen, insbesondere zum tragenden Untergrund, ist die Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit der gesamten Bodenkonstruktion. Jegliche Versäumnisse in dieser Phase führen zu schwerwiegenden und kostenintensiven Folgeschäden.
Regelwerke & Normative Verweise
DIN 18560 – Estriche im Bauwesen
Als zentrale Anwendungsnorm regelt sie die Planung, Ausführung und die Anforderungen an die vier grundlegenden Estrichkonstruktionen. Ihre Teile (z.B. Teil 2 für schwimmende Estriche) bilden die Basis für jede fachgerechte Ausführung.
DIN 18202 – Toleranzen im Hochbau
Dieses Regelwerk quantifiziert die zulässigen Grenzabweichungen der Ebenheit von Estrichoberflächen (Tabelle 3). Die Einhaltung der Zeile 3 oder, bei erhöhten Anforderungen, der Zeile 4 ist maßgeblich für die Abnahme und die Verlegereife für nachfolgende Belagsarbeiten.
DIN 13813 – Estrichmörtel und Estrichmassen
Diese europäische Produktnorm klassifiziert Estrichmörtel anhand ihrer Leistungsmerkmale. Die Kennzeichnung (z.B. CT-C25-F5-A15) definiert objektiv die Druckfestigkeit (C), Biegezugfestigkeit (F) und den Verschleißwiderstand (A) und ist Grundlage für die Materialausschreibung.
VOB/C, DIN 18353 – Estricharbeiten
Als Teil der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen beschreibt sie die Allgemeinen Technischen Vertragsbedingungen. Von besonderer Relevanz ist die hier verankerte Prüf- und Bedenkenanmeldepflicht des Auftragnehmers bezüglich der Vorleistungen anderer Gewerke.
BEB-Merkblätter
Herausgegeben vom Bundesverband Estrich und Belag, konkretisieren diese Merkblätter den Stand der Technik für spezifische Detailfragen (z.B. “Beurteilen und Vorbereiten von Untergründen”), die über den Regelungsgehalt der Normen hinausgehen.
ZDB-Merkblätter
Die Merkblätter des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe sind insbesondere für die Koordination der Gewerkeschnittstellen, beispielsweise zur Abdichtungsebene nach DIN 18534, von hoher praktischer Bedeutung.
Untergrund: Prüfung & Vorbereitung
Untergrundprüfung & Bedenkenanmeldung
Die Prüfung des Untergrunds ist eine vertragliche Hauptpflicht. Werden Abweichungen von der geforderten Beschaffenheit (z.B. bezüglich Ebenheit, Verunreinigungen, Rissen, unzureichender Festigkeit oder Feuchte) festgestellt, ist eine schriftliche Bedenkenanmeldung nach § 4 Abs. 3 VOB/B zwingend erforderlich, um eine Haftungsübernahme für Folgeschäden auszuschließen.
Ebenheit & Winkeltoleranzen
Die Prüfung der Ebenheit nach DIN 18202 dient der Vermeidung unkontrollierter Estrich-Mehrdicken, die das Trocknungs- und Schwindverhalten negativ beeinflussen. Ebenso sind Winkeltoleranzen zu bewerten, da sie die Verlegung von großformatigen Belägen maßgeblich beeinträchtigen können.
Oberflächenfestigkeit & Tragfähigkeit
Der Untergrund muss eine kohäsiv und adhäsiv tragfähige Oberfläche aufweisen. Mürbe oder lose Zonen wie Zementleimschlämme oder nicht festhaftende Altanstriche sind durch geeignete mechanische Verfahren (Schleifen, Fräsen, Kugelstrahlen) restlos zu entfernen.
Grundierungen & Haftbrücken
Diese Systemkomponenten erfüllen unterschiedliche Funktionen. Grundierungen dienen der Staubbindung, der Porenversiegelung und der Regulierung des Saugverhaltens des Untergrunds. Eine Haftbrücke hingegen ist ein zwingend erforderlicher Haftvermittler, der den kraftschlüssigen, schubfesten Verbund zwischen dem tragenden Untergrund und einem Verbundestrich sicherstellt.
Aufbrennsperre
Eine spezielle Grundierungsart, die auf hochporösen oder stark saugenden Untergründen (z.B. Porenbeton, Calciumsilikatplatten) appliziert wird. Sie verhindert den kapillaren, schlagartigen Wasserentzug aus dem Frischmörtel (“Aufbrennen”), der zu einem unvollständigen Hydratationsprozess und damit zu einem signifikanten Festigkeitsabfall führen würde.
Konstruktive Planung: Fugen & Dicken
Fugenplanung
Die bewusste und geplante Anordnung von Fugen ist ein konstruktives Erfordernis zur Kompensation von Längenänderungen infolge von Schwinden, Kriechen und thermischer Beanspruchung.
Bewegungsfuge
Diese Fuge muss deckungsgleich und in gleicher Breite aus der tragenden Konstruktion übernommen werden. Sie durchdringt den gesamten Estrichquerschnitt inklusive eventueller Dämmungen und Bewehrungen und dient der Aufnahme von differenziellen Gebäudebewegungen.
Scheinfuge (Sollbruchstelle)
Ein gezielt induzierter Riss durch einen Querschnittsschwächungsschnitt (Tiefe ca. 1/3 bis 1/4 der Estrichdicke). Sie dient der kontrollierten Rissführung in großen, ungeteilten Estrichfeldern zur Minimierung des Risikos unkontrollierter wilder Risse.
Randfuge
Die konsequente Trennung der Estrichplatte von allen aufgehenden Bauteilen (Wände, Stützen, Rohrdurchführungen) mittels eines Randdämmstreifens. Ihre Funktion ist die Gewährleistung der zwängungsfreien Bewegung der Estrichplatte und die Vermeidung von Schallbrücken.
Nenndicke
Die statisch oder konstruktiv festgelegte Solldicke des Estrichs. Die Einhaltung der Mindestnenndicke, insbesondere im Bereich von Rohrleitungen bei Heizestrichen (Rohrüberdeckung), ist kritisch für die Lastverteilung und die Vermeidung von Rissbildung.